Montag, 16. Juni 2025

Der Protest des „Pik As“

Eine Protestaktion des Jagdgeschwaders 53 während der Luftschlacht um England

Das „Pik As“ Geschwader und ein beispielloser Akt des Protest.


Quelle:By Bundesarchiv, Bild 101I-337-0036-02A / Folkerts / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de

Das Jagdgeschwader 53 (JG 53), besser bekannt unter seinem markanten Beinamen „Pik As“, zählte zu den ältesten und renommiertesten Jagdfliegereinheiten der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Seine Ursprünge reichten bis ins Jahr 1937 zurück, und es war von Beginn an mit den verschiedenen Versionen der Messerschmitt Bf 109 ausgerüstet. Das Geschwader hatte sich bereits im Frankreichfeldzug einen Namen gemacht und verfügte über einen hohen Anteil an erfahrenen Piloten, von denen einige, wie der später berühmte Werner Mölders, bereits in der Legion Condor in Spanien Kampferfahrung gesammelt hatten.


Quelle:www.asisbiz.com

Das „Pik As“-Emblem, eine stilisierte Pik-Ass-Spielkarte, war nicht nur ein Erkennungszeichen, sondern ein tief verwurzeltes Symbol der Identität, des Stolzes und des Korpsgeistes dieser Eliteeinheit. Einheitssymbole dieser Art sind in militärischen Verbänden von jeher von großer Bedeutung, da sie das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken und eine gemeinsame Identität stiften. Das Pik-Ass selbst, oft mit Glück, Können, aber auch mit einer gewissen Verwegenheit assoziiert, passte gut zum Selbstverständnis einer Jagdfliegereinheit. Die spätere erzwungene Entfernung dieses Symbols musste daher als ein tiefer Eingriff in das Selbstverständnis des Geschwaders empfunden werden.


Quelle:alkeeins.blogspot.com


Mitten in den dramatischen Tagen der Luftschlacht um England im Sommer und Herbst 1940, einer der entscheidenden Phasen des Zweiten Weltkriegs, wurde das JG 53 Schauplatz einer beispiellosen Protestaktion. Als Reaktion auf eine als demütigend empfundene Anordnung von höchster Stelle, die direkt den Kommodore des Geschwaders betraf, griffen die Piloten zu einer außergewöhnlichen Maßnahme: Sie übermalten die Hakenkreuze an den Leitwerken ihrer Maschinen. Dieser Akt des stillen, aber unübersehbaren Trotzes war ein bemerkenswertes Zeugnis für die Solidarität innerhalb des Verbandes und ein seltener Fall von offenem Widerspruch gegen die Symbolik und die Praktiken des nationalsozialistischen Regimes innerhalb der Wehrmacht.

Die Bürde des Kommodore

Die zentrale Figur in diesem Drama war der Kommodore des Jagdgeschwaders 53, Major Hans-Jürgen von Cramon-Taubadel. Geboren am 4. November 1901, blickte er auf eine solide militärische Laufbahn zurück, die ihn durch verschiedene Verwendungen in der Reichswehr und schließlich in die neu gegründete Luftwaffe führte. Bereits 1934 wurde er zum Staffelkapitän ernannt und befehligte vor seiner Verwendung beim JG 53 unter anderem Einheiten wie die Fliegergruppe II./162 und die I./Jagdgeschwader 54. Am 1. Januar 1940 übernahm er das Kommando über das Jagdgeschwader 53 „Pik As“, das zu diesem Zeitpunkt in Wiesbaden-Erbenheim stationiert war.


Quelle:falkeeins.blogspot.com


Der Schatten, der auf seine Karriere fallen sollte, hatte seinen Ursprung in seinem Privatleben. Von Cramon-Taubadel war in erster Ehe seit dem 16. November 1933 mit Viola von Kaufmann-Asse verheiratet, die jüdischer Abstammung war. Im Kontext der nationalsozialistischen Rassenideologie, kodifiziert in den Nürnberger Gesetzen von 1935, stellte eine solche Verbindung für einen Offizier der Wehrmacht, insbesondere in einer so exponierten Stellung, ein erhebliches Problem dar. Diese Tatsache wurde Reichsmarschall Hermann Göring, dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe, offenbar während des Frankreichfeldzuges oder in der Frühphase der Luftschlacht um England bekannt. Der genaue Zeitpunkt, zu dem Göring von dieser Information Kenntnis erlangte oder beschloss, darauf zu reagieren, ist von einiger Bedeutung. Dass dies geschah, während das JG 53 als Fronteinheit in kritischen Operationen gebunden war, legt entweder eine bemerkenswerte Missachtung der operativen Stabilität seitens Görings nahe oder deutet auf einen bewussten politischen Schachzug hin, um ideologische Kontrolle selbst auf Kosten der militärischen Effektivität durchzusetzen. Die nationalsozialistische Führung priorisierte ideologische „Reinheit“ oft über militärische Notwendigkeiten. Es ist denkbar, dass die Information Göring erst spät erreichte oder durch interne parteipolitische Ränkespiele „handlungsrelevant“ wurde. Es könnte aber auch sein, dass Göring die Situation als Vorwand nutzte, um seine Autorität zu demonstrieren oder ein Exempel zu statuieren, was die oft irrationale und störende Natur der politischen Einmischung des NS-Regimes in militärische Angelegenheiten unterstreicht.

Reichsmarschall Görings Zorn

Die Reaktion Görings ließ nicht lange auf sich warten und traf das Geschwader hart. Er ordnete an, dass das traditionsreiche „Pik As“-Emblem von allen Flugzeugen des Stabsschwarms des JG 53 – und später offenbar des gesamten Geschwaders – entfernt werden müsse. An seine Stelle sollte als Strafmaßnahme und sichtbares Zeichen der Missbilligung ein rotes Band um die Motorhauben der Messerschmitt Bf 109 gemalt werden. Einige Berichte bezeichnen das Geschwader in dieser Zeit spöttisch als „Rotring-Geschwader“ oder das Band als „Rotes Band der Schande“. Diese Maßnahme war eine direkte Demütigung für eine Eliteeinheit und ihren Kommodore.
Der erste dokumentierte Fall eines über England abgeschossenen Flugzeugs des JG 53 mit diesem roten Band ereignete sich am 16. August 1940. Die Maschine von Feldwebel Christian Hansen von der 2./JG 53 musste bei Godshill auf der Isle of Wight notlanden und wies bei der Untersuchung durch britische Stellen ein etwa 15 cm (6 Zoll) breites rotes Band um die Nase auf. Bemerkenswerterweise beschädigte auch Major von Cramon-Taubadel selbst an ebenjenem 16. August 1940 seine Bf 109 E bei einer Landung.


Quelle:falkeeins.blogspot.com


Görings Eingriff war ein direkter Affront gegen die Ehre und den Korpsgeist einer bewährten Einheit. Die Piloten dazu zu zwingen, ein „Schandmal“ zu tragen, zielte vermutlich darauf ab, ihre Loyalität zu von Cramon-Taubadel zu brechen und ideologische Konformität zu erzwingen. Militärische Einheiten, insbesondere solche mit Elitestatus, leben von Symbolen, Traditionen und der Loyalität zu ihren Kommandeuren. Görings Befehl griff alle drei Aspekte an: Er entfernte ein geschätztes Emblem, erzwang ein Schandmal und zielte auf einen respektierten Kommodore aus Gründen, die nichts mit dessen militärischer Leistung zu tun hatten. Eine solche als ungerecht und willkürlich empfundene Maßnahme der obersten Führung musste zwangsläufig eher Trotz und Groll als Unterwerfung hervorrufen, besonders in einer Einheit mit einem so ausgeprägten Selbstverständnis.



Schlüsselfiguren in der „Pik As-Affäre“

Name

Rang/Position (zur Zeit des Vorfalls)

Rolle in der Affäre

Reichsmarschall Hermann Göring

Oberbefehlshaber der Luftwaffe

Ordnete die Entfernung des Emblems und das Anbringen des roten Bandes an.

Major Hans-Jürgen von Cramon-Taubadel

Geschwaderkommodore JG 53

Seine Ehefrau war der Anlass für Görings Befehl.

Piloten des JG 53

(Kollektiv)

Führten die Protestaktion durch Übermalen der Hakenkreuze aus.

Major Günther Freiherr von Maltzahn

Nachfolger von Cramon-Taubadels

Unter seiner Führung wurde das „Pik As“-Emblem wieder eingeführt.

Der Akt der Solidarität und des Protests von JG 53

Die Reaktion des Jagdgeschwaders 53 auf Görings demütigenden Befehl war ebenso unerwartet wie kühn. Aus Solidarität mit ihrem Kommodore und als direkter Protest gegen die Anordnung begannen die Piloten des Stabsschwarms – und bald darauf offenbar das gesamte Geschwader – die Hakenkreuze an den Leitwerken ihrer Messerschmitt Bf 109 zu übermalen. Dies war ein offener, wenn auch nonverbaler Akt des Widerstands, nicht nur gegen die Behandlung ihres Kommandeurs, sondern implizit auch gegen die Omnipräsenz der NS-Symbolik. Einige Piloten gingen sogar so weit, den nun freien, übermalten Bereich am Leitwerk für die Darstellung ihrer persönlichen Abschussmarkierungen zu nutzen, anstatt diese wie üblich am Ruder anzubringen. Diese Praxis wurde über einen gewissen Zeitraum beibehalten; Berichten zufolge wurden einige Flugzeuge der III. Gruppe des JG 53 noch Ende November 1940 ohne Hakenkreuze im Einsatz gesichtet.


Uffz Schulte, abgeschossen im Sept. 1940. Kein Pick-Ass und kein Hackenkreuz.
Quelle:aircrewremembrancesociety.co.uk


Die Atmosphäre innerhalb des Geschwaders muss in diesen Tagen von einer Mischung aus Trotz, Wut, aber auch starker Kameradschaft und der Bereitschaft, erhebliche persönliche Risiken einzugehen, geprägt gewesen sein. Das Übermalen des Hakenkreuzes war eine weitaus provokantere und gefährlichere Handlung als die bloße Entfernung eines Einheitsemblems. Das Hakenkreuz war das zentrale und unantastbare Symbol des NS-Staates. Dessen Verunstaltung, selbst durch Angehörige der eigenen Streitkräfte, stellte einen Akt der Insubordination dar, der unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur und im Kriegszustand schwerwiegende Konsequenzen bis hin zum Kriegsgerichtsverfahren oder Schlimmerem hätte nach sich ziehen können. Dies deutet auf ein außergewöhnlich hohes Maß an Zusammenhalt, Vertrauen und gemeinsamer Empörung innerhalb der Einheit hin. Ein solcher kollektiver Akt des Ungehorsams war nicht das Werk einiger weniger unzufriedener Piloten, sondern erforderte eine breite Zustimmung oder zumindest Duldung innerhalb des Geschwaders.


Quelle:www.asisbiz.com

Dieser Vorfall ereignete sich vor dem Hintergrund der zermürbenden Luftschlacht um England. Die deutschen Jagdflieger waren enormen Belastungen ausgesetzt: hohe Verlustraten, physische und psychische Erschöpfung, die sich in Phänomenen wie der sogenannten „Kanalkrankheit“ (eine Form der Kampfmüdigkeit, charakterisiert durch Stresssymptome wie Magenschmerzen und Appetitlosigkeit) äußerte, sowie oft als widersprüchlich oder fehlerhaft empfundene strategische Entscheidungen der obersten Führung. Görings Führung der Luftwaffe wurde von vielen Frontpiloten kritisch gesehen; seine Versprechungen, wie die Zusicherung, die britischen Expeditionsstreitkräfte bei Dünkirchen allein aus der Luft vernichten zu können, hatten sich als unrealistisch erwiesen. Dies könnte das Vertrauen in die oberste Führung untergraben haben. Der Protest des JG 53, obwohl durch einen spezifischen Anlass ausgelöst, könnte somit auch Ausdruck einer breiteren, wenn auch meist unausgesprochenen Frustration innerhalb Teilen der Luftwaffe über politische Einmischung und Führungsversagen gewesen sein. Die besonderen Umstände beim JG 53 lieferten den Katalysator für eine offene Meinungsäußerung, die möglicherweise mit unausgesprochenen Gefühlen an anderer Stelle in Resonanz stand.



Zeitachse der Protestmarkierungen des JG 53 – Luftschlacht um England 1940


Ungefähres Datum/Zeitraum

Ereignis

Mai/Juni 1940

JG 53 erzielt hohe Abschusszahlen im Frankreichfeldzug.

Sommer 1940 (Frankreichfeldzug/frühe Luftschlacht um England)

Göring wird über die jüdische Abstammung der Ehefrau von Major von Cramon-Taubadel informiert.

August 1940 (wahrscheinlich Anfang/Mitte)

Göring befiehlt die Entfernung des „Pik As“-Emblems und das Anbringen des roten Bandes.

16. August 1940

Erste dokumentierte JG 53 Bf 109E mit rotem Band (Fw. Hansen) wird über England abgeschossen. Von Cramon-Taubadel beschädigt seine Maschine.

Kurz nach August 1940

Piloten des JG 53 beginnen, die Hakenkreuze an ihren Flugzeugen zu übermalen.

Herbst 1940

Von Cramon-Taubadel wird als Kommodore abgelöst.

30. September 1940

Major Günther Freiherr von Maltzahn übernimmt das Kommando.

Nach Kommandowechsel (Oktober 1940)

Das „Pik As“-Emblem wird wieder eingeführt, oft in einem neueren, größeren Format.

Bis Ende November 1940

Einige Flugzeuge des JG 53 weiterhin ohne Hakenkreuze gesichtet.


Bf 109 E-3 des JG 53 im Fokus


Das Flugzeug, das im Mittelpunkt dieser Ereignisse stand, war die Messerschmitt Bf 109 in der Version E-3. Die Bf 109 war das Standardjagdflugzeug der Luftwaffe und hatte sich als leistungsfähige Konstruktion erwiesen. Die E-3-Variante verfügte über eine gute Steigleistung, eine starke Bewaffnung (typischerweise zwei MG 17 über dem Motor, zwei MG FF in den Flügeln) und galt als stabile Waffenplattform. Ihre größte Schwäche im Kontext der Luftschlacht um England war jedoch ihre begrenzte Reichweite, die den Piloten oft nur wenige Minuten Kampfzeit über Südengland erlaubte, bevor der Treibstoffvorrat zur Neige ging und der Rückflug angetreten werden musste.
Die Tarnschemen und Markierungen der Flugzeuge des JG 53 während dieser Protestperiode sind für Historiker und Modellbauer von besonderem Interesse. Das grundlegende Tarnschema der Bf 109E zu dieser Zeit bestand meist aus einem Splittertarnanstrich auf den Oberseiten der Tragflächen und des Rumpfes aus den Farben RLM 70 (Schwarzgrün) und RLM 02 (Grau). Die Unterseiten und die unteren Rumpfseiten waren in RLM 65 (Hellblau) gehalten. Speziell für die Maschine des Kommodore, Major von Cramon-Taubadel, wird ein Schema aus RLM 70 und RLM 02 auf den Oberseiten über RLM 65 für die Unterseiten und Rumpfseiten beschrieben, wobei die Rumpfseiten zusätzlich eine Fleckung oder Marmorierung (Mottling) in RLM 02 aufwiesen. Die Luftwaffe erlaubte ihren Einheiten generell eine gewisse Freiheit bei der Anpassung von Tarnmustern an lokale Gegebenheiten oder zur Erprobung neuer Schemen, was zu einer Vielfalt an Erscheinungsbildern führte.


Quelle:www.eduard.com

Das auffälligste Merkmal war natürlich das bereits erwähnte rote Band, etwa 15 cm breit, das als Ring um die vordere Motorverkleidung (Cowling) verlief. Hinzu kamen die übermalten Hakenkreuze an den Seitenleitwerken. Die Farbe, die zum Übermalen der Hakenkreuze verwendet wurde, war höchstwahrscheinlich die jeweilige Umgebungsfarbe des Tarnanstrichs am Leitwerk, also RLM 70 oder RLM 02, um das Symbol möglichst unauffällig abzudecken. Die Flugzeuge des Kommodore trugen zudem spezifische Kommandeur-Markierungen, wie beispielsweise einen schwarzen Propellerspinner (manchmal mit weißen Segmenten) und die typischen Winkel (< >) vor dem Rumpfkreuz. Die Propellerblätter waren standardmäßig in RLM 70 (Schwarzgrün) lackiert. Diese einzigartige Kombination aus rotem Band, fehlendem „Pik As“-Emblem und übermaltem Hakenkreuz machte die Bf 109 des JG 53 in dieser Periode unverwechselbar und zu einem bis heute faszinierenden Studienobjekt. Die visuelle Andersartigkeit ist ein wesentlicher Grund, warum diese Episode so nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist; sie ist der materielle, sichtbare Ausdruck einer tieferliegenden Geschichte von Konflikt und Trotz.

Konsequenzen

Die Protestaktion des JG 53 blieb nicht ohne Folgen, insbesondere für den Kommodore. Major Hans-Jürgen von Cramon-Taubadel wurde im Herbst 1940, genauer am 30. September 1940, von seinem Kommando über das Jagdgeschwader 53 entbunden. Er wurde zunächst an die Luftkriegsakademie in Berlin-Gatow versetzt und bekleidete später verschiedene Stabspositionen. Es war zu dieser Zeit nicht unüblich, dass Göring ältere Vorkriegs-Kommodore durch jüngere, als besonders aggressiv und erfolgreich geltende Fliegerasse ersetzte, und von Cramon-Taubadels Ablösung fiel in eine solche Phase der Personalrochaden. Sein Nachfolger als Kommodore des JG 53 wurde Major Günther Freiherr von Maltzahn, der zuvor die II. Gruppe des Geschwaders geführt hatte.
Nach dem Kommandowechsel und der Entfernung von Cramon-Taubadels erlaubte Göring dem Geschwader, sein „Pik As“-Emblem wieder zu führen. Berichten zufolge erschien das Emblem nun in einem etwas neueren und größeren Format als zuvor. Das Übermalen der Hakenkreuze wurde jedoch von Teilen des Geschwaders, insbesondere der III. Gruppe, noch bis in den späten November 1940 hinein fortgesetzt.
Bemerkenswert ist, dass es offenbar keine weit verbreiteten, schweren disziplinarischen Maßnahmen gegen die einzelnen Piloten gab, die sich an der Übermalung der Hakenkreuze beteiligt hatten. Die Quellenlage hierzu ist zwar nicht umfassend, aber das Ausbleiben von Berichten über Massenbestrafungen ist auffällig. Dies könnte mehrere Gründe haben: Möglicherweise sah Göring sein primäres Ziel – die Entfernung von Cramon-Taubadels – als erreicht an und wollte die Situation nicht weiter eskalieren, um die Moral einer wichtigen Fronteinheit nicht vollends zu untergraben. Es ist auch denkbar, dass die Luftwaffe-Führung stillschweigend beschloss, die Angelegenheit im Sande verlaufen zu lassen, wobei die Kampfkraft der erfahrenen Piloten Vorrang vor ideologischer Vergeltung hatte. Zudem könnte die schiere Anzahl der beteiligten Piloten eine Bestrafung aller unpraktikabel gemacht haben. Diese relative „Nachsicht“ steht im Kontrast zur sonst oft brutalen Durchsetzung der NS-Ideologie. Das Jagdgeschwader 53 setzte seine Kampfeinsätze nach diesen Vorfällen an verschiedenen Fronten fort und erzielte weiterhin hohe Abschusszahlen, was darauf hindeutet, dass die Kampfmoral der Einheit nicht nachhaltig beschädigt wurde oder der Protest als eine Art Ventil gewirkt hatte.

Ein unvergessenes Symbol

Die Ereignisse um das Jagdgeschwader 53 „Pik As“ im Sommer und Herbst 1940 stellen eine bemerkenswerte Episode in der Geschichte der Luftwaffe dar. Die Kette der Ereignisse – die Enthüllung der „nichtarischen“ Abstammung der Ehefrau des Kommodore, Görings drakonische Reaktion mit der Anordnung des „Roten Bandes der Schande“ und der Entfernung des Einheitsemblems, kulminierend im kollektiven Protest der Piloten durch das Übermalen der Hakenkreuze – ist ein vielschichtiges Drama.
Der Mut und die Solidarität der Piloten des JG 53, die sich offen hinter ihren Kommodore stellten und dabei erhebliche persönliche Risiken eingingen, sind hervorzuheben. Ihre Aktion war ein seltener, wenn auch primär symbolischer, Akt des Widerspruchs gegen die Ideologie und die Willkür der NS-Führung innerhalb einer Eliteeinheit der Wehrmacht. Es zeigt, dass selbst unter den repressiven Bedingungen einer Diktatur und im Kontext militärischer Disziplin individuelle und kollektive Gewissensentscheidungen und Akte des stillen Aufbegehrens möglich waren.

Die Geschichte der „Pik As-Affäre“ fasziniert auch nach Jahrzehnten noch. Sie verbindet persönliches Schicksal mit militärischer Symbolik und einem mutigen Akt der Kameradschaft und des Protests. Dieser Vorfall wirft ein Schlaglicht auf die inneren Dynamiken der Luftwaffe, das Spannungsfeld zwischen militärischer Professionalität, Korpsgeist und dem ideologischen Druck des Regimes. Es ist eine bleibende Erinnerung daran, dass die Fassade monolithischer Loyalität innerhalb der Streitkräfte des Dritten Reiches Risse aufwies und dass menschliche Werte wie Loyalität und Anstand selbst unter widrigsten Umständen einen Ausdruck finden konnten, sei es auch nur auf der vergänglichen Leinwand eines Flugzeugrumpfes.


Quellenangaben

  1. en.wikipedia.org  
  2. Jagdgeschwader 53 - Wikipedia,
  3. Jagdgeschwader 53 'Pik-As' Bf 109 Aces of 1940 - Osprey Publishing,  
  4. Camouflage and Markings of the Messerschmitt Me 109 - iModeler,
  5. Oberst Hans-Jürgen von Cramon Taubadel,  
  6. John Jenkins Future Releases #1 - November 2020,  
  7. Kanalkrankheit - Wikipedia,
  8. Did Göring really mismanage the Luftwaffe in WWII? : r/history - Reddit,
  9. Bf109E-3 - Eduard,
  10. Bf109e-4/B 8/JG53 October 1940 - Aircraft WWII - Britmodeller.com,
  11. Günther Freiherr von Maltzahn - Wikipedia,

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